Wirtschafts-, Finanzpolitik & Recht

Wirtschaftliche Erholung verlangsamt

IV-GS Neumayer | IV-Chefökonom Helmenstein: Winterhalbjahr mit großen konjunkturellen Herausforderungen – Industrie noch weit unterhalb der Normalauslastung –  Erreichbarkeit von Fernmärkten Schlüsselfaktor für wirtschaftliche Erholung

„Die konjunkturelle Talsohle wurde im Sommer zwar erreicht, allerdings verlangsamt sich die Erholungsdynamik in den vergangenen Wochen deutlich. Grund dafür ist das wiederaufgeflammte COVID-19-Infektionsgeschehen, das die wirtschaftlichen Schäden vergrößert und die Industrie bis weit in das nächste Jahr hinein belasten wird“, fasste Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), heute, Mittwoch, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Chefökonom Christian Helmenstein die aktuelle wirtschaftliche Situation zusammen:

  • Schon seit August ist eine Seitwärtsbewegung der wirtschaftlichen Aktivität zu verzeichnen. Mit steigender Intensität der europäisch und weltweit gesetzten Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens nimmt der wirtschaftliche Druck wieder zu, sodass die Industriellenvereinigung heuer gegenüber der April- und Juli-Prognose nach wie vor unverändert einen BIP-Rückgang um ‑7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erwartet.
  • Die sektorale Betroffenheit hat sich während der zurückliegenden Monate beträchtlich verändert. Mit einem Schaden von über 8 Mrd. Euro gehört die Industrie zu den drei von COVID-19 am stärksten betroffenen Wirtschaftsbereichen, nach den sonstigen Dienstleistungssektoren (persönliche Dienstleistungen, Transport, Kultur, Sport) und noch vor der Tourismuswirtschaft (Gastronomie, Beherbergung), welche Wertschöpfungsverluste in ähnlicher Größenordnung verzeichnet.
  • „Skepsis ob der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung herrscht vor allem bei Industrieunternehmen mit einer hohen Exportquote sowie – paradoxerweise – besonders bei jenen mit modernen, sogenannten hybriden Geschäftsmodellen“, erläuterte Helmenstein. Bei Letzteren ist der Absatz von Sachgütern mit Dienstleistungen erheblichen Umfanges, beispielsweise Wartungsleistungen oder Analytikdiensten, gekoppelt. „Bei diesen Unternehmen schlägt die nach wie vor unzureichende Erreichbarkeit insbesondere von Fernmärkten gleich dreifach negativ zu Buche: durch Ausfälle von Neu- und Folgeaufträgen, durch fehlende Deckungsbeiträge aus der Dienstleistungskomponente, da diese nicht vor Ort erbracht werden können, sowie in Form von Rechtsrisiken. Dies trifft zu, wenn Verfügbarkeiten zugesagt wurden, welche unter COVID-Bedingungen jedoch nicht in jedem Fall eingehalten werden können“, so Helmenstein.

Wachstumsimpulse für den Arbeitsmarkt

„Die Corona-bedingte konjunkturelle Entwicklung hat naturgemäß Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt. Nachhaltiges Wachstum ist der einzig mögliche Weg aus der Krise, auf dem Arbeitsplätze wiederaufgebaut werden können. Dafür braucht es Wachstumsimpulse“, betonte Neumayer. Aus Sicht der Industrie gibt es fünf zentrale Hebel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit:

  • Belebung der Konjunktur durch gezielte Wachstumsimpulse
  • Entlastung von Menschen und Unternehmen im Bereich Steuern- und Abgaben, Bürokratie und Regulierung
  • Betriebsnahe Qualifizierungsmaßnahmen
  • Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte und Fachkräfteoffensive
  • Anreize bzw. Vermeiden von Fehlanreizen bei der Arbeitslosenversicherung

Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage

„Das IV-Konjunkturbarometer, welches als Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, verbessert sich von -9,0 Punkten auf +6,1 Punkte. Dazu IV-Generalsekretär Neumayer: „Erfreulicherweise beobachten wir einen Vorzeichenwechsel, wenngleich auf niedrigem Niveau. Allerdings ist dieser Vorzeichenwechsel auf die deutliche Verbesserung des Geschäftsganges im Vergleich zum zweiten Quartal zurückzuführen, während sich die Aussichten sogar wieder etwas eintrüben.“ Dementsprechend liegt die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage nunmehr bei +8 Punkten nach zuvor -30 Punkten, während die Geschäftserwartungen auf Sicht von sechs Monaten einen leichten Rückgang von +12 Punkten auf nur noch +4 Punkte verzeichnen. Bis in das Frühjahr hinein ist daher nur mit einer geringfügigen weiteren Verbesserung des Geschäftsganges zu rechnen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Anteil der optimistisch gestimmten Unternehmen von einem Drittel zum vorhergehenden Termin auf unter ein Viertel zurückgeht. Selbst auf dem derzeit nach wie vor weit unterhalb der Normalauslastung liegenden Aktivitätsniveau erwarten 19 Prozent der befragten Unternehmen nicht nur keine Verbesserung, sondern sogar noch eine Verschlechterung ihrer Geschäftslage auf Sicht eines halben Jahres.

Die verbesserte Einschätzung der aktuellen Geschäftslage dürfte auch damit zusammenhängen, dass bei den Gesamtauftragsbeständen ebenfalls ein Vorzeichenwechsel von -18 auf +10 Punkte erfolgt. Allerdings entspricht letzterer Wert einem äußerst geringen Positivsaldo, welcher zuletzt im vierten Quartal 2009 zu verzeichnen war. Deutlich schwächer wird die Entwicklung bei der Komponente der Auslandsaufträge bewertet, die sich von -21 Punkten gerade einmal in den neutralen Bereich mit einem Saldo von 0 verbessert. Der Auftragsbestand wird mithin weiterhin als so niedrig eingeschätzt, dass eine Normalauslastung auch in den kommenden Monaten nicht erreichbar sein wird.

Aus diesen Gründen liegen die Produktionserwartungen in saisonbereinigter Betrachtung bei -14 Punkten und damit auf einem Wert, der einerseits die Ausstoßlücke im Vergleich zum Vorjahr und andererseits die Erholungsskepsis zum Ausdruck bringt.

Damit zusammenhängend verharrt der Indikator für den Beschäftigtenstand in deutlich negativem Terrain. Der aktuelle Wert beträgt -23 Punkte nach zuvor -22 Punkten. Mittels „Corona-Kurzarbeit“ konnte zwar – bei hohem budgetären Aufwand – ein ansonsten dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit vermieden werden, doch stehen weitere Beschäftigungsverluste in der Industrie bevor. Positiv ist zu vermerken, dass zum letzten Termin immerhin jedes 25. Industrieunternehmen seinen Personalstand auszuweiten beabsichtigte und dies inzwischen sogar auf jedes 14. Unternehmen zutrifft. Diese Entwicklung unterstreicht das Paradoxon der Parallelität von hoher Arbeitslosigkeit einerseits und einem Fachkräftemangel vor allem in Bezug auf digitale Kompetenzen andererseits, der sich im Wiederaufschwung wachstumshemmend auswirken wird.

Der Anteil der Unternehmen, welcher mit einem absoluten Rückgang der erzielbaren Verkaufspreise rechnet, bildet sich auf das Niveau des vorletzten Termins zurück (Saldo ‑16 nach -25). Die je nach Wirtschaftszweig, mitunter sogar je nach Produktportfolio zum Teil stabile, zum Teil katastrophale Mengenentwicklung in Verbindung mit einem anhaltend hohen Preisdruck setzt den Unternehmen ertragsseitig weiterhin erheblich zu (Saldo -10 nach -38). Nur jedes fünfte Unternehmen berichtet von einer guten aktuellen Ertragslage, über ein Viertel (28 Prozent) bezeichnet diese als schlecht. Aus derzeitiger Sicht zeichnet sich im kommenden Halbjahr zudem keine Verbesserung der Ertragslage ab (Saldo -1 nach +7). Nur eine Minderheit von 19 Prozent der Respondenten erwartet eine Verbesserung der Ertragsaussichten über die Wintermonate.

Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 386 Unternehmen mit rund 248.000 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.