IV-GS Christoph Neumayer und IV-Chef-Ökonom Christian Helmenstein
Wirtschafts-, Finanzpolitik & Recht

Industrielle Erholungsdynamik erreicht ihren Plafond

IV-GS Neumayer/IV-Chefökonom Helmenstein: Vorkrisenniveau im dritten Quartal überschritten – Richtige Standortpolitik entscheidend für konjunkturelle Expansionsphase

„Aus epidemiologischer Perspektive betrachtet ist die COVID-19-Gesundheitskrise zwar noch längst nicht Geschichte, ökonomisch gesehen hingegen sehr wohl. Während des laufenden dritten Quartals wird die österreichische Volkswirtschaft im Durchschnitt wieder ihr Vor-Corona-Niveau erreichen. In der Industrie wurde diese Marke sogar schon gegen Ende des ersten Quartals passiert“, fasste Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) heute, Dienstag, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Chefökonom Christian Helmenstein die aktuelle konjunkturelle Situation zusammen.

Auf globaler Ebene ist der Aufschwung ebenfalls schon seit Monaten Realität – bei einem realen Wachstum der Weltwirtschaft von 6 Prozent im Jahr 2021 handelt es sich um die stärkste Expansion innerhalb von fünf Dekaden. Stärker ist die Weltwirtschaft zuletzt im Jahr 1973 gewachsen. Getragen wird die globale Erholung von den beiden weltgrößten Volkswirtschaften, den USA und China, welche gemeinsam rund die Hälfte des gesamten globalen BIP-Zuwachses auf sich vereinigen, während die Europäische Union lediglich knapp 14 Prozent zum globalen Wachstum beiträgt.

„Jetzt braucht es stabile Rahmenbedingungen für Unternehmen und ihre Beschäftigten, um das Wachstum in Österreich und den Aufbau von Arbeitsplätzen nachhaltig zu stärken. Diskussionen über Arbeitszeitverkürzung oder die zusätzliche Evaluierung wichtiger bereits vereinbarter und – oft jahrzehntelang – geprüfter Infrastrukturvorhaben sind das Gegenteil davon“, so Neumayer. Alleine durch die Baustopps der Linzer Autobahn A26 oder der Wiener Außenringschnellstraße S1 wären 27.5000 Arbeitsplätze gefährdet. Eine „massive Herausforderung“ sei das vergangene Woche vorgestellte fit-for-55 EU-Klimapaket. „Die österreichische Industrie ist Ermöglicher der Klimatransformation. So lange aber bei den klimapolitischen Anstrengungen weiterhin keine gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen, erfordert das höhere 2030 EU-Treibhausgasziel einen ausreichenden Abwanderungs- und Verlagerungsschutz (Carbon-Leakage-Schutz) und die Vermeidung von Mehrbelastungen für Schlüsselindustriezweige“, betonte der IV-Generalsekretär, der im Verkehrsbereich zudem für Technologieoffenheit statt Verbote plädierte.

„Die Weltwirtschaft befindet sich inmitten einer Boom-Phase mit den üblichen Folgeerscheinungen, positiv wie negativ. Erfreulich ist vor allem, dass sich die Arbeitslosenquote im OECD-Raum bereits im Jahr 2021 wieder auf das durchschnittliche Niveau des Zeitraumes von 2013-2019 zurückbilden wird und die Defizite der öffentlichen Haushalte im kommenden Jahr um rund 4 Prozentpunkte niedriger als in diesem Jahr ausfallen werden. Allerdings liegen sie mit durchschnittlich 6 Prozent der Wirtschaftsleistung immer noch rund doppelt so hoch wie vor der Krise, obwohl die Inflation nicht zuletzt aufgrund steigender Rohstoff- und Vorproduktpreise gegenüber dem Durchschnitt der Vorkrisenperiode von 2013-2019 um einen Dreiviertelprozentpunkt anzieht“, erklärte IV-Chefökonom Christian Helmenstein.

Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage

Das IV-Konjunkturbarometer, welches als Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, legt nochmals um sieben Punkte auf nunmehr 42,5 Punkte zu. Ein noch höherer Wert wurde zuletzt vor gut drei Jahren im ersten Quartal 2018 mit 47,1 Punkten erzielt. Der Anstieg des Konjunkturbarometers ist ausschließlich auf eine hochkonjunkturkonforme Einschätzung der aktuellen Geschäftslage zurückzuführen. Der Wert dieses Teilindikators nimmt um 17 Punkte auf nunmehr 69 Punkte zu. Bei den Geschäftsaussichten in sechs Monaten ist hingegen nicht nur keine Verbesserung mehr zu beobachten, sondern selbige trüben sich nunmehr bereits zum zweiten Mal in Folge leicht ein (+16 Punkte nach +19 Punkten).

Dementsprechend erreicht die konjunkturelle Erholungsdynamik in der Industrie während der Sommermonate bereits ihren Plafond – mit anhaltend hohen Zuwächsen bis in den Herbst hinein. Dies ist auch auf die Engpässe bei der Verfügbarkeit bestimmter Vorprodukte, insbesondere Halbleitern, zurückzuführen, während sich der Markt für Baumaterialien allmählich entspannen sollte. Für das Winterhalbjahr ist in weiterer Folge eine zyklustypische Abschwächung der Aufwärtsdynamik zu erwarten. Eine Fortsetzung derselben steht – abgesehen von nicht prognostizierbaren exogenen Schocks – für Österreich außer Zweifel, schon aufgrund der nach wie vor ultraexpansiven geldpolitischen Flankierung und fiskalischer Stimuli wie insbesondere der Investitionsprämie. Diese Einschätzung ist auch gegenüber einer erneuten, wellenförmigen Zunahme des Infektionsgeschehens infolge von Mutationen des Corona-Virus robust.

Die nochmals verbesserte Einschätzung der aktuellen Geschäftslage hängt wesentlich mit den erneut beträchtlich gestiegenen Gesamtauftragsbeständen zusammen, bei denen eine Zunahme von 54 Punkten auf 73 Punkte zu verzeichnen ist. Auch die Komponente der Auslandsaufträge vermag das Expansionstempo mitzugehen, indem ihr Wert von 46 Punkten auf 65 Punkte zulegt. Vor dem Hintergrund einer leichten Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar im Ausmaß von knapp 4 Prozent binnen Jahresfrist sowie der nach wie vor nur eingeschränkten Erreichbarkeit wichtiger Fernabsatzmärkte der österreichischen Industrie ist dies ein bemerkenswert kräftiger Zuwachs.

In Übereinstimmung mit dem Gesamtbild bildet sich das Momentum bei den Produktionserwartungen in saisonbereinigter Betrachtung mehr und mehr zurück: Sie legen nur mehr geringfügig um 3 Punkte auf nunmehr +36 Punkte zu, was unterstreicht, dass das Erreichen des Expansionsplafonds unmittelbar bevorsteht.

Damit zusammenhängend verbessert sich der Wert für den Beschäftigtenstand als tendenziell nachlaufender Konjunkturindikator nochmals um 9 Punkte auf +36 Punkte und damit auf den höchsten Wert seit der Großen Rezession im Gefolge der Lehman-Insolvenz im Jahr 2008: Zwei von fünf Unternehmen beabsichtigen, ihren Beschäftigtenstand im laufenden dritten Quartal aufzustocken. Am Arbeitsmarkt realisiert sich damit binnen kurzer Zeit die an dieser Stelle wiederholt avisierte, scheinbar paradoxe Entwicklung des Nebeneinanders einer nach wie hohen Unterbeschäftigung in Form von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit einerseits und eines sich rasch verschärfenden Fachkräftemangels andererseits. Letzterer trägt ebenfalls dazu bei, dass eine weitere Dynamisierung der Erholungsdynamik in der österreichischen Industrie nicht mehr zu erwarten ist.

Bei den erzielbaren Verkaufspreisen rechnet ein immer größerer Anteil der Respondenten mit einem Aufwärtstrend (Saldo +41 nach +25). Hier spiegelt sich einerseits die starke globale Nachfrage nach bestimmten Industrieprodukten wider, andererseits sehen sich weite Teile der Wirtschaft mit der Notwendigkeit konfrontiert, die stark gestiegenen Rohstoff- und Vorproduktpreise an ihre Abnehmer auf den jeweiligen Verarbeitungsstufen weiterzugeben.

Die grosso modo erheblich verbesserte Auslastung stärkt die Ertragslage der Unternehmen (Saldo +39 nach +26). Die etwas vorsichtigere Einschätzung der mittelfristigen Konjunkturaussichten bedingt allerdings einen abermaligen Rückgang der Ertragsperspektiven auf sechs Monate (Saldo +7 nach +9). Dennoch behauptet sich der Indikator im positiven Bereich, sodass nach einer langen Durststrecke von über zwei Jahren gute Voraussetzungen für einen weiterhin investitionsgetragenen Aufschwung in Österreich gegeben sind.

Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 394 Unternehmen mit rund 277.700 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.

Die Zahlen und Grafiken zur aktuellen IV-Konjunkturumfrage finden Sie HIER.